Hilfe, es gibt bald keine Bitcoin mehr
Der Wochenkommentar
Seit Mitte April ist das tägliche Angebot an zusätzlichen Bitcoin gegenüber vorher halbiert. Viele Kryptoinvestoren gehen wegen dieser relativen Verknappung davon aus, dass damit auch der Preis für Bitcoin mittelfristig wieder steigen wird.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia
Das Bitcoin Halving erinnert in gewisser Weise an den Ramadan: Man kann erst kurz vorher sagen, wann genau es stattfindet und es hat mit Religion zu tun, bedenkt man die spirituellen Züge, die der Glaube an die Kryptowährung bei einigen Bitcoin-Fans mittlerweile angenommen hat. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Und tatsächlich interessiert die meisten Menschen, die mit Bitcoin zu tun haben, beim Halving etwas ganz anderes: Geht das Preismuster, das in den vergangenen Jahren zu beobachten war und wonach der Preis für Bitcoin tendenziell nach einem Halving anstieg, weiter, steigt der Bitcoinkurs also wieder?
Was ist das Stock-Flow-Modell wert?
Bitcoin-Enthusiasten nennen in diesem Zusammenhang gerne das Stock-Flow-Modell, mit dem das zu beobachtende Preismuster theoretisch unterfüttert werden soll. Die Idee dahinter: Tendenziell verknappt sich das Angebot an zusätzlichen Bitcoin im Zeitablauf und das Ergebnis davon ist ein höherer Bitcoin-Preis. Konkret ist es so, dass das Bitcoin-Angebot in den vergangenen Jahren um 328.500 Bitcoin jährlich gestiegen ist. Alle vier Jahre wird dieser Betrag dem Bitcoin-Protokoll gehorchend jedoch halbiert, am 20. April war es wieder so weit. Damit sinkt das jährlich neu auf den Markt kommende Bitcoin-Volumen auf 164.250 Bitcoin. Irgendwann im Jahr 2140 wird es keine zusätzlichen Bitcoin mehr geben, Bitcoin wird deswegen aber nicht verschwinden. In jedem Fall hat das Stock-Flow-Modell ein paar Probleme. Zwar stimmt es, dass die Verknappung des zusätzlichen Bitcoin-Angebots in den vergangenen 15 Jahren mit einem Kursanstieg einhergegangen ist und am Ende jedes Halving-Zyklus war der Kurs von Bitcoin höher als am Anfang dieses Zyklus. Allerdings war auch der S&P 500 Index am Ende jedes Bitcoin Halving Zyklus höher als an dessen Anfang, auch wenn die Zuwächse weniger spektakulär ausgefallen sind. Noch gravierender ist, dass für die Nachfrage nach Bitcoin implizit angenommen wird, dass diese immer weiter steigt. Mit dieser Annahme benötigt man aber nicht wirklich ein Modell, um die Aussage zukünftig steigender Preise abzuleiten. Sondern dann genügt es festzustellen, dass eine annahmegemäß steigende Nachfrage auf ein relativ starres Angebot stößt.
Dies macht aber deutlich, dass es letztlich nur auf die Entwicklung der Nachfrage nach Bitcoin ankommt. Sie entscheidet darüber, ob Bitcoin wirklich über 1 Mio. US-Dollar oder „up to the moon“ steigen wird, oder vielleicht irgendwann doch im Penny-Bereich landet.
Auf die Nachfrage kommt es an
Die Nachfrage nach Bitcoin ist quantitativ schwer zu greifen, man kann sie aber in vier Komponenten aufteilen: Erstens, gibt es eine Basisnachfrage nach der Kryptowährung. Sie stammt von Bitcoin-Fans, die sich nicht von Preisschwankungen und Tagesmeldungen abhalten lassen, mehr oder weniger stetig in Bitcoin zu investieren. Dieser Teil der Nachfrage ist vermutlich gar nicht mal so klein. Für diese These spricht, dass Bitcoin sich nach den dramatischen Abstürzen der letzten Jahre immer wieder gefangen hat. Ein wichtiger Teil dieser Bitcoin dürfte von Kryptobörsen verwaltet werden, bei denen auch Miner einen Teil ihrer geschürften Bitcoin verwahren, bevor sie diese dann regelmäßig verkaufen.
Zweitens ist von einer spekulativen bzw. opportunistischen Nachfrage auszugehen. Hier geht es um Anleger, die ausschließlich deswegen Bitcoin nachfragen, weil sie erwarten, dass der Kurs steigen wird. Dieser Anteil der Anleger hat in den letzten Jahren vermutlich stark zugenommen, nicht zuletzt durch das Angebot von Spot-ETFs, die das Investieren in Bitcoin technisch auf eine vergleichbare Stufe wie das Investieren in Aktien stellt. Daher ist auch festzustellen, dass immer dann, wenn die internationalen Aktienmärkte nachgeben, der Preis für Bitcoin zunächst auch in den Keller geht.
Die Rolle von illegalen Transaktionen
Eine dritte Komponente der Nachfrage dürfte von illegalen Transaktionen, dem Verwahren von kriminell erworbenen Vermögen und dergleichen gespeist sein. Chainalysis, ein Analyseunternehmen, das sich auf die Erfassung krimineller Transaktionen auf öffentlichen Blockchains spezialisiert hat, schätzt, dass 0,34 % aller Bitcoin-Transaktionen bzw. ein Volumen von 24,2 Mrd. US-Dollar illegaler Natur waren. Demnach spielt diese Komponente wohl keine dominante Rolle.
Schließlich gibt es auch noch legale Transaktionen mit Bitcoin, die ebenfalls eine Nachfrage nach Bitcoin nach sich ziehen. Das Volumen an Transaktionen belief sich nach Angaben von Chainalysis im Jahr 2023 auf rund 7.100 Mrd. US-Dollar. Das klingt nach viel, ist aber letztlich weniger als täglich an den Devisenmärkte beim Handel von US-Dollar abgewickelt wird. Mit anderen Worten: Für Transaktionen wird Bitcoin bislang kaum eingesetzt.
Bedingungen für steigende Preise
Was bedeutet das jetzt für die Preisentwicklung von Bitcoin? Geht man von weiter steigenden Aktienmärkten aus, dann wird die spekulative Komponente der Nachfrage auch weiter steigen und tendenziell für einen höheren Bitcoin-Preis sorgen und vice versa. Regulatorische Eingriffe, um beispielsweise Bitcoin-Transaktionen zu erschweren, würden hier negativ wirken. Sollte Bitcoin als Transaktionswährung in Zukunft an Beliebtheit gewinnen, etwa wenn sich sogenannte Lightening-Netzwerke durchsetzen, die Bitcoin-Zahlungen zu minimalen Kosten erlauben, würde das ebenfalls dazu beitragen, dass mehr Bitcoin gehalten wird. Dass illegale Transaktionen sich als nachhaltige Preistreiber durchsetzen, ist angesichts des derzeit geringen Volumens schwer vorstellbar.
Fazit: Vorsicht mit Preiswünschen
Entscheidend für die langfristige Entwicklung des Bitcoin-Preises wird es sein, ob die Zahl der Personen, die daran glauben, dass Bitcoin sich als Wertaufbewahrungsmittel und/oder als Transaktionsmittel durchsetzen wird – die Bitcoin-Gläubigen also, die für die erste Nachfragekomponente verantwortlich sind – im Zeitablauf zunehmen wird. Das derzeitige Krisenumfeld, in dem von vielen Menschen weltweit auch die staatliche Ordnung in Frage gestellt wird, ist dazu angetan, die Beliebtheit von Bitcoin zu erhöhen. So gesehen sollte man sich die Frage stellen, ob man sich wirklich einen Bitcoin-Kurs „up to the moon“ wünscht.